Das Web – ein Wortmedium

Das Trend-Thema Bewegtbild mag davon ablenken, aber tatsächlich ist das Web ein textorientiertes Medium. Niemand hat das besser verstanden als Google – mit einer Suchseite frei von optischem Aufputz und vor allem mit den Google AdWords. Der Erfolg dieser reinen Textanzeigen lässt Banner-Kampagnen weit hinter sich.
Auch die Eyetracking-Studien des Poynter-Institutes belegen, dass eine Headline  oft der erste Blickfang auf einer Website ist, noch vor einem Bild. Gerade für Marketing-Profis ist das oft schwer zu glauben. Die Prägung durch das traditionelle Verständnis der Print- und TV-Werbung ist so stark, dass sie stark in die Online-Welt hineinwirkt.
Grafische Elemente haben den Vorteil, dass sie mit wenigen Fixationen erfasst werden. Dennoch werden im Web weniger als die Hälfte der angebotenen Bilder auch angesehen, schreiben Jakob Nielsen und Kara Pernice in ihrem Buch „Eyetracking Web Usability“. Screen-Auswertungen mit der Augenkamera zeigen darin sehr eindrucksvoll, wie Besucher  einem Hindernisrennen gleich mit ihren Blicken um die Fotos herum auf einer Website navigieren. Zu oft haben die Bilder für den User keinen Wert: Gerade bei kleineren Fotos braucht es zu viel Aufwand, den tatsächlichen Inhalt zu entschlüsseln. Typische generische Stock-Fotos wie eines Mannes vor dem Computer oder einer freundlichen Frau mit dem Headset werden daher komplett ignoriert.
Aber es gibt auch Fotos, die Aufmerksamkeit finden:

  • Ungewohnte oder inhaltlich interessante Motive
  • Bilder, die in direktem Konnex zum Inhalt stehen (das ist bei Printmedien nicht viel anders, war bei K2 schon zu lesen)
  • Vor allem aber Bilder, die qualitativ hochwertig sind, ein eindeutiges Thema haben  und einen hohen Kontrast aufweisen.

Meist ist ein gutes Foto in richtiger Größe besser als mehrere kleine und mittelmäßige. Soweit einige Ergebnisse aus dem neuen Buch von Nielsen und Pernice.
Ähnlich ist auch die Einschätzung von Web-Consultant Gerry Mc Govern. Seiner Meinung nach vermitteln viele Bilder auf einem Screen dem Besucher den Eindruck einer Anzeige, er will auf einer Website aber  Information und nicht Werbung finden. Immer wieder zeigt sich bei Website-Projekten von Gerry Mc Govern, dass Werbebilder schlichtweg übersehen werden. So gab es auf einer Website einen Bildbanner zu einem Angebot, der 40 % des Platzes ausmachte. Zum selben Service gab es nach mehrmaligem Scrollen einen Textlink, der allerdings weit häufiger angeklickt wurde. Für die Besucher war es der schnellere Weg, weil der Banner länger zum vollen Download brauchte.
Gerry Mc Govern ist daher so etwas wie ein Prediger für guten Text auf Websites. Das heißt für ihn: Qualitätstexte so knapp wie möglich. In seinem neuen Buch The Stranger’s Long Neck“ schreibt er: „We are now told that content will be created for free by a bunch of enthusiastic amateurs. In certain cases this is true, in other cases not. It’s hard to see a bunch of enthusiastic amateurs producing animation fi lms of the same quality as Pixar’s“. Das Ergebnis im Web sind oft Seiten mit unrelevantem und ausuferndem Text, der es dem Besucher schwierig macht, die gewünschte Information zu finden: „Quality content does not increase just because you increase the amount of content created. It just becomes harder to find.“ Jeder hinzugefügte Inhalt beeinflusst die Qualität der Navigation, die Qualität der Suche und erhöht den Aufwand für das Content Management.
Tatsächlich kommt es im Web auf jedes einzelne Wort an, zumindest bei den Headlines. Die bereits erwähnten Eyetracking Studien von Pointer zeigen, dass Besucher die Headlines von links beginnend überfliegen. Wenn die ersten Begriffe einer Überschrift Interesse wecken, dann wird weitergelesen. Die ersten Wörter müssen richtige Eye-Catcher sein – „Sharp Headline Writing“ ist für das Poynter Institute daher entscheidend. Das gilt auch für die typischen Anreißer von News-Meldungen oder Intro-Absätze:  Heatmaps zeigen, dass primär das linke Drittel überflogen wird.
> Mehr dazu:
Eyetracking-Studien des Pointer Institute
Headline-Tests von WhichTestWon
Buchauszug von Nielsen und Pernice (PDF)

0 Kommentare zu “Das Web – ein Wortmedium”


Die Kommentare sind zur Zeit geschlossen.